Einfach auf den Boden

Bei der Gründung der Gemeinde 1949 war den Menschen des Ruhrgebiets das Grauen des Krieges noch sehr präsent. Fast jede Familie hatte gefallene Soldaten oder Bombenopfer zu beklagen. Der Gründerpfarrer Dr. Heyer beabsichtigte, die Namen der Toten seiner Gemeinde in den Altarstipes der noch zu errichtenden Kirche einzugravieren.  

Dieses Anliegen war ihm auch persönlich sehr wichtig. Während seiner Zeit als Kaplan in der Essener Pfarrei St. Mariä Geburt hatten er und eine von ihm betreute Jugendgruppe im Jahre 1940 angesichts der drohenden Einberufung einander versprochen, die im Krieg Gefallenen unter ihnen nie zu vergessen. Die neue Pfarrstelle bot ihm nun die Gelegenheit, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen.


Da er davon überzeugt war, dass die Menschen seiner Zeit nur Blut und Schuld vor Gott bringen konnten, wollte er unbedingt den Gedanken einer Märtyrer- oder Heldengedenk-stätte vermeiden. Sein Ausweg war, den Kreis der Einzuschreibenden zu erweitern - zu-nächst auf die Toten der ehemaligen Feinde, und dann auch auf Menschen, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg Gewaltopfer geworden waren. Ein Altarstipes hätte für so viele Namen natürlich zu wenig Raum geboten, und so folgte er dem Rat des damaligen Kölner Dombaumeisters Willi Weyres, sie doch einfach auf den Boden zu schreiben.

Bei der Einschreibung all dieser Namen geht es also nicht  um Verdienste,   Unschuld  oder  vorbildlichen Lebenswandel, auch wenn all dies in vielen Fällen durchaus zutrifft, in vielen anderen jedoch nicht. Insofern verbietet sich auch der Gedanke einer Ehrung oder Würdigung ihrer Taten, der bei anderen Gedenkstätten durchaus beabsichtigt ist, und von fast allen Besuchern dieser Kirche zunächst einmal vorausgesetzt wird.

Das, was all diesen Namen auf dem Boden, so unterschiedlich sie auch sein mögen, gemeinsam ist, ist, dass sie ausnahmslos Gottes Geschöpfe sind, der sie nicht dafür erschaffen hat, dass sie von ihren Mitgeschöpfen ums Leben gebracht werden. Gott will, dass das Leben jedes Menschen gelingt; auch diejenigen, die sich durch Gewalt schuldig gemacht haben, sind hiervon nicht ausgenommen. Wenn sie durch die Gewalt, die sie selbst heraufbeschworen haben, selbst zu Opfern wurden, sind sie nicht Opfer zweiter Klasse.  

Was all diese Opfer auf dem Boden verbindet, ist also ihr Menschsein und ihre Menschen-würde, die unantastbar und unteilbar ist. Es ist nicht an uns Lebenden, Opfer moralisch zu selektieren und damit gleichzeitig ein Urteil zu fällen, das allein Gott zusteht.

Wenn wir an all diese Menschen erinnern, geschieht dies nicht, um sie zu ehren, sondern um zu zeigen, was 'menschenmöglich' ist, um ihren gewaltsamen Tod zu beklagen, um uns mit den  vielfältigen Umständen und Ursachen von   Gewalt    auseinanderzusetzen,   um  uns

durch ihren Tod mahnen zu lassen, uns stets für Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen, aber auch - und dies ist ein ebenso wichtiger Gedanke - um der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass Tod, Gewalt und Unrecht nicht das letzte Wort der Geschichte sind.

 Die Namenfelder der Jahre 1988 - 2004

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