Leuchtende Botschaft

Wer die Oberkirche betritt, übersieht angesichts des allgegenwärtigen Ziegelmauerwerks und des vorherrschenden Dämmerlichts die Fenster zunächst. Erst ein Blick auf die Südwand des Raumes erschließt den Eintretenden die Farbenpracht der sechzehn Fenster, die hier die Wand durchbrechen.

Werner Regner, Weinstockfenster (1958/59)

Werner Regner, Altarwandfenster (1974)

Werner Regner hat in den Jahren 1958/59 in ihnen einen Weinstock dargestellt, der in den fünf Fenstern der gleichen Wand in der Unter-kirche verwurzelt ist. Ihre sich nach unten verjüngende Trapezform er-innert an das Aussehen einer aus vielen Beeren bestehenden Wein-traube - Beeren, die auch immer wieder in den Fenstern sichtbar wer-den.

Weinstock und Trauben sind zum einen eucharistische Symbole; sie verweisen auf das Blut Christi und greifen damit die Thematik der Unterkirche wieder auf. Zum anderen symbolisieren sie unter Verweis auf Joh 15,5 das Verhältnis zwischen Christus und allen Gläubigen: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben."

Die Weinstockfenster setzen sich zu beiden Seiten unterhalb der Bedachung der Oberkirche fort - allerdings mit einer anderen Thematik: auf der östlichen Seite mit Szenen aus dem Alten Testament, auf der westlichen mit Darstellungen des Neuen Testamentes.

Auf der Westseite senken sich die Fenstertrauben im Altarbereich wieder zur Erde nieder. Hier hat Werner Regner im Jahre 1974 auf dreiundzwanzig Fenstern in abstrakten Formen die Themen Himmelfahrt (Farbe Blau), Auferstehung (Farbe Weiß) und Geistsendung (Farbe Rot) abgehandelt.



So stehen sich in der Ausstattung der Oberkirche zwei Kern- und Angelpunkte der Heilsgeschichte gegenüber: das Kreuzesopfer Jesu Christi, das der Menschheit das ewige Leben eröffnet hat (verdeutlicht in den Weinstockfenstern der Südseite), und die Parusie am Ende der Zeiten, die mit dem Beginn der Gottesherrschaft verbunden ist (verdeutlicht durch das Skulpturenensemble des Altarraumes).  Diese Themen stehen nicht isoliert im Raum, sondern haben ihren Ort in den Fensterfolgen des Alten und Neuen Bundes an Ost- und Westwand der Kirche.

Von diesen Fenstern hat Regner nur noch eines geschaffen, die Grablegung Christi an der Westwand. Fünf weitere Künstlerinnen und Künstler wurden mit den Entwürfen für je sechs weitere Fenster beauftragt: Albert Rein-ker (1926 - 2014), Hans Müller (Lebensdaten unbekannt), Margarete Franke (1909 - 2011), Hildegard Bienen (1925 - 90) und Egbert Lammers (1908 - 96). Die Koordination dieses Teams, mit der Regner beauftragt war, war wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Gesamtwerkes.

Lammers erarbeitete einen Passionszyklus, Bienen eine Fensterfolge zur Menschwerdung Gottes, Franke zu Glaubenserfahrungen Is-raels, Müller zum Weg Israels zum Gottesvolk und Reinker zur Erschaffung der Welt. Da hier nicht alle diese Fenster gezeigt werden können, werden lediglich je ein Fenster Albert Reinkers und Margarete Frankes vorgestellt.

Bei dem Fenster Albert Reinkers handelt es sich um das sechste und letzte seines Schöp-fungszyklusses. Es zeigt die Erschaffung des Menschen (Gen 1,26 f.). Gerade erst durch die links oben sichtbare Hand Gottes zum Leben erweckt, steht er da, noch nicht ganz aufgerichtet und ein wenig steif, und blickt staunend nach oben. 

Albert Reinker, Die Erschaffung des Menschen (1974)

Margarete Franke, Jesaja (1974)

Das Fenster Margarete Frankes bezieht sich auf eine Schriftstelle bei Jesaja: "Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm ..." (Jes 11,1 f.). Thema des Fensters ist die Ankündigung des messianischen Reiches durch den Propheten Jesaja. Der Baumstumpf , den die Künstlerin hier nicht darstellt, repräsentiert Isai, auch Jesse genannt. Aus dem Baumstumpf wächst ein neuer Trieb hervor, der eigentlich Isais Sohn David bezeichnet, den späteren König Israels. Auf ihm lässt sich der Geist Gottes nieder - repräsentiert durch einen weißen Vogel. Dieser alttestamentarische Text wurde schon in der frühen Kirche messianisch verstanden und auf Jesus hin gedeutet. Der Prophet erblickt einen künftigen König aus dem Hause Davids, der ein universales Reich des Friedens und der Gerechtigkeit begründen wird - Jesus Christus, der nach Aussage des Evangelisten Lukas David zu seinen Vorfahren zählte (Lk 1,27).

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